Die Legende vom Heiligen Nikolaus

Text von Efi Goebel, adaptiert von HiPP Schweiz

Wisst ihr eigentlich, wer der Samichlaus war, der jedes Jahr am 6. Dezember auszieht und die Kinder beschenkt? Der Heilige Nikolaus, so sein richtiger Name, war ein Bischof und lebte vor vielen, vielen Jahren in Myra, eine Stadt in einem Land, das wir heute als Türkei kennen.

Als er jung war, war Nikolaus kein Bischof. Und er lebte auch nicht in Myra, sondern in einer anderen Stadt. Nikolaus war ein reicher Mann. Von seinen Eltern hatte er viel Geld, ein grosses Haus und noch vieles mehr geerbt.

In den Sommermonaten, wenn es schön warm war, spielte sich das Leben der Menschen auf den Strassen ab. Gern spazierte Nikolaus umher und lauschte dem manchmal fröhlichen, manchmal traurigen, manchmal komischen Stimmengewirr in den Gassen.

Plötzlich hörte er hinter einer Mauer eine traurige Stimme. Und auch Weinen ist deutlich zu hören: «Morgen werdet ihr zu euren neuen Dienstherren gehen,» sagt eine tiefe Männerstimme. «Wie gerne würde ich euch bei mir behalten. Aber ich bin arm. Ich schaffe es nicht, genug Geld zum Leben für uns alle zu verdienen. » Die traurige Stimme des Vaters und das Weinen der Mädchen stimmen Nikolaus nachdenklich. Kann er nicht helfen? Rasch läuft er zurück in sein Haus. Dort füllt er einen Sack mit Goldstücken. Er eilt zurück zur Mauer und geht bis zu der Stelle, an der sie ein Fenster zum Wohnhaus hat. Nikolaus schaut sich um. Zum Glück hat ihn niemand gesehen. Er nimmt den Sack mit den Goldstücken, wirft ihn durch das Fenster und läuft davon.

Im Haus hat der arme Vater das ungewöhnliche Geräusch am Fenster gehört. Und wie gross ist seine Überraschung, als er den aufgeplatzten Sack und die vielen Geldstücke entdeckt! Woher das Geld wohl kommt? Wer hat es durchs Fenster geworfen? Der Vater schaut auf die Strasse hinaus, dort ist kein Mensch! Nur etwas weiter oben, dort, wo die Häuser der Reichen stehen, glaubt er, eine Bewegung zu erkennen. Wohnt dort nicht der reiche junge Nikolaus? Der Vater schaut zum Sack mit dem vielen Geld. Ob er wirklich für ihn und seine Töchter bestimmt ist?

Er möchte wissen, wer ihm das Geld gegeben hat, nimmt allen seinen Mut zusammen und klopft bei Nikolaus’ Haus an die Tür. Ein Diener führt den Mann zu Nikolaus, der im Garten sitzt. «Junger Mann», spricht der Vater, und sinkt vor Nikolaus auf die Knie. «Sag, bist du es, der einen Geldsack durchs Fenster in mein Haus geworfen hat? Ist es wirklich dafür, um mir und meinen Töchtern zu helfen?»

«Steh nur auf», antwortet Nikolaus und hilft dem Mann auf die Füsse. «Ich hörte zufällig von deiner Not. Es ist nicht schwer, von dem Vielen, was ich besitze, abzugeben. Du brauchst mir nicht zu danken. Ich freue mich, wenn es dir und deinen Töchtern gutgeht.»

Viele Jahre später unternimmt der nun älter gewordene Nikolaus Reisen, um andere Städte kennenzulernen. Eines Morgens will er in der Stadt Myra die Kirche besuchen und zu Jesus beten. Dieser hat vielen Menschen geholfen, wie auch Nikolaus den Menschen helfen möchte.

Als er den Kirchenraum betritt, stellt sich ihm ein alter Mann entgegen: «Das ist er, das ist unser neuer Bischof!», ruft er in die Kirche hinein. Nikolaus ist verwirrt: «Ich bin kein Bischof!», sagt er und will sich abwenden. Doch der Mann hält ihn fest: «Unser alter Bischof ist vor kurzer Zeit gestorben. Nun brauchen wir einen neuen Bischof, der sich um uns kümmert und uns hilft. In der vergangenen Nacht haben wir gebetet, dass Gott uns zeigen möge, wer unser Bischof sein soll.» Die Augen des alten Mannes glänzen. «Wir meinten, dass Gott sicher einen guten und frommen Menschen zu uns schicken wird. Und du bist nun schon so früh am Morgen in die Kirche gekommen, du bist sicher ein guter Bischof für uns!»

Nikolaus ist verwirrt und will darüber nachdenken. Kann er als Bischof den Menschen dienen? Plötzlich sieht er, dass in der Kirche noch viele andere Menschen sind. Alle hoffen, dass er ihr Bischof werden wird! Die hoffnungsvollen Augen der Menschen und ihre Bitten bleiben bei Nikolaus nicht ungehört. Einige Zeit später wird Nikolaus zum Bischof von Myra geweiht. Nikolaus spürt, dass er den Menschen als Bischof gut helfen kann.

Wieder ist eine lange Zeit vergangen. Die Menschen in Myra lieben ihren Bischof. Sie haben erfahren, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten bei ihm stets ein offenes Ohr und Hilfe finden.

Plötzlich herrscht grosse Hungersnot im Land, die Hitze hat alles Korn verdorren lassen. Eines Tages, fahren Schiffe schwer beladen mit Korn in den Hafen ein. Die Menschen möchten den Schiffern das Korn abkaufen. Doch diese verkaufen nichts: «Unser Dienstherr wird uns bestrafen, wenn wir nicht alles Korn zum Zielhafen bringen», sagen sie.

Bischof Nikolaus geht zum Hafen und bittet um das Korn: «Gebt den Menschen von eurem Korn. Gott wird eure Schiffe wieder füllen. Euer Dienstherr wird zufrieden sein.» Die Schiffer sind skeptisch. Aber sie sehen die hungrigen Menschen und geben ihnen schliesslich von ihrem Korn ab. Bischof Nikolaus teilt alles gerecht, alle werden satt. Und die Schiffe sind tatsächlich später vollbeladen im Zielhafen angekommen!

Bis heute haben die Menschen nicht vergessen, wie viel Liebe Bischof Nikolaus verschenkt hat und wie gut er zu den Menschen war. Jedes Jahr am 6. Dezember erinnern sie sich daran.